Podcaster machen kein Radio!

Max Nachtsheim macht Podcasts. Z.B. Radio Nukular - einen der erfolgreichsten Podcasts der deutschen Szene. Zusammen mit Christian Gürnth und Dominik Hammes produziert er dieses 14tägige Talkformat. Podcast GmbH hat mit Max über den Erfolg und die Gefahren von zu viel Authentizität gesprochen, über ein Ende von Radio Nukular, Geld verdienen und ob Podcasts wirklich 5h lang sein müssen.
Beim Skypen sitzt Max mit seinen Kopfhörern vorm Computer. Im Hintergrund sehe ich ein Klo und eine Dusche – dazwischen ein Regal mit nerdigem Sammelspielzeug. Die Szene wirkt absurd... aber dann wieder auch passend für das, was Max Nachtsheim macht. Denn bei RADIO NUKULAR geht es vor allem um Jugendphänomene der 90er und frühen 90er – und auch in seinen anderen Podcasts IM AUTOKINO, RUMPLE PACK und BINGE BOYS redet er gerne über Popkultur: Kinofilme, Videospiele und Videoformate von funk.
WAR FRÜHER ALLES BESSER?
Früher war tatsächlich vieles auf eine andere Art schöner! Oder auf eine schöne Art anders! Wir hatten die großen Anfänge des Spielzeugs, das zum ersten Mal in der Masse erfolgreich war. Wir hatten die Anfänge der Videospiele. Wir hatten extrem viele Kultmarken, die damals eingeführt wurden und ihren Ursprung haben. Noch heute laufen im Kino die Transformers, Turtles, Ghostbusters. Es hat sich gar nicht so viel geändert. Die beliebtesten Marken von früher sind zumindest gefühlt immer noch die beliebtesten Marken von heute. Deswegen ist es zumindest schön, dass man die Anfänge da mitbekommen hat und man schwelgt natürlich gerne in diesen Erinnerungen.
FUNKTIONIERT DAS „FRÜHER“ UNSERER GENERATION (ANM. D. RED.: MAX IST 33) VIELLEICHT DESHALB SO GUT ALS THEMA FÜR EIN ERFOLGREICHEN PODCAST, WEIL SICH EBEN DIESES „FRÜHER“ BIS IN UNSER „HEUTE“ ZIEHT?
Wahrscheinlich schon. Vor Ende der 70er gab es einfach einen ganz anderen Vibe. Der Markt war auch ganz anders! Die ganz krassen Marken sind ja erst in den 80er, also in unserer Jugend, gekommen und wurden plötzlich ganz anders gepusht: Es gab halt nicht mehr nur den Star Wars FILM, sondern auch Figuren, Comics, und, und, und... Um bei dem Beispiel Ghostbusters zu bleiben: Natürlich reden wir da auch über den neuen Film und über das was in den letzten zehn Jahren passiert ist. Aber die ganzen Gedanken über die Vergangenheit kommen halt besser an, weil sie mehr dein Kindheits-Ich im Kopf ansprechen. Und dadurch bist du halt sofort wieder der naive Junge unterm Weihnachtsbaum, der seine Ghostbusters-Station ausgepackt hat. Da kommen halt Erinnerungen hoch. Das ist das krasse an diesen Themen.

WIR LEBEN IN SEHR STARK INDIVIDUALISIERTEN ZEITEN. SIND DIESE AN POPKULTUR GEHÄNGTE KINDHEITSERINNERUNGEN DER KLEINSTE GEIMEINSAME NENNER FÜR UNSERE GENERATION?
Ja! Das sieht man doch auch, wenn man alte Schulfreunde wieder trifft. Du merkst da total schnell, dass man kopfmäßig total weit auseinander ist, weil alle einen unterschiedlichen Beruf oder Lifestyle haben. Und deswegen: Wenn Freunde zusammen sitzen und die eigentlich nichts mehr gemeinsam haben, dann erinnern sie sich immer an früher. Dann kommen ganz schnell so Klassen-Stammtischgespräche auf: „Weißt du noch damals, als wir dies und jenes gemacht haben?“ Im Endeffekt ist das ja genau das Gleiche, wenn wir im Podcast sagen: „Weißt du noch damals die Ghostbusters....?“ Dann hat zwar jeder seine eigene, persönliche Erinnerung im Kopf – aber da ist dann auch gleich noch ein Gefühl der Gemeinsamkeit, das bei vielen ausgelöst wird. Das ist ein ganz anderes Gefühl als das, was du aktuell in deinem Leben hast. Und dieses Gefühl ist, glaube ich, für uns und die Hörer bei dem Podcast ganz, ganz wichtig.
WIE WICHTIG SIND DIE PRIVATEN GESCHICHTEN VON CHRIS, DOMINIK UND DIR FÜR DEN ERFOLG VON RADIO NUKULAR?
Die sind wahnsinnig wichtig! Das ist neben dem „alte-Gefühle-auslösen“-Kram das Allerwichtigste. Im echten Leben ist das zwar tatsächlich langsam ein Problem, dass Leute einfach zu viel über mich wissen. Ich habe kein Party-Small-Talk mehr! Wenn ich anfange, etwas zu erzählen, dann winken die anderen schon oft gleich ab und sagen: „Jaja, weiß ich. Hab ich schon gehört!“
Aber auf der anderen Seite bauen die Leute, die den Podcast oft hören und viel über mich wissen, eine Bindung zu mir auf und entwickeln eine ganz krasse Treue. Es ist nicht mehr so der Popstar, der auf die Bühne geht, gut aussieht, singt und wieder geht. Sondern wir sind ganz normale Leute aus der Menge, die einfach ihre Geschichte amüsant erzählen. Ganz normale Geschichten, bei denen viele sagen können: „Ja, das kenne ich auch!“ Die Hörer kennen das auf die Fresse zu fliegen; die kennen das betrogen zu werden; die kennen das gemobbt zu werden. Dadurch entsteht so ein krasses Gemeinschaftsgefühl zu diesen Typen im Podcast. Ganz viele Hörer sagen immer wieder zu mir, dass sie weniger einem Podcast als einem Gespräch von Freunden zuhören.
IST ES SCHWER SO EHRLICH & AUTHENTISCH ZU SEIN?
Für mich ist es nicht so schwer. Einigen im Team fällt das schwerer. Das liegt einfach daran, dass die manchmal reflektierter sind als ich. Ich plappere halt einfach los und habe auch am Anfang mal Geschichten mit kompletten Namen der anderen erzählt. Weil ich dachte: „Ja, wir reden ja nur.“ Und erst danach wurde mir klar: Das hören halt noch 80.000 Leute und es ist vielleicht nicht so gut in die Welt zu posaunen, wer was genau gemacht hat. Du machst dich mit privaten Geschichten eben auch angreifbar. Gerade z.B. beim Mobbing-Podcast! Als ich da erzählte, mit was man mich früher gemobbt hatte, musste ich danach schon einiges einstecken... Es gibt ja nicht nur gute und nette Leute auf der Welt.
HAST DU MANCHMAL ANGST DAVOR, DASS DER MAX IRGENDWANN MAL AUSERZÄHLT IST?
Ja! Weil wie viele tolle Sachen können noch passieren? Z.B. bei dem Anekdoten-Podcast frage ich mich jetzt schon, was wir noch erzählen sollen. Wir hatten ein Zivi-Podcast, den Große-Mädchen-Podcast, den Mobbing-Podcast, den Schulen-Podcast, wir hatten einen Klassenfahrten-Podcast... Wir haben dafür vielleicht nur noch drei, vier, fünf Themenfelder, dann wird das Ding abgegrast sein. Ich frage mich schon oft nach der Haltbarkeit von Nukular.
UND WAS GLAUBST DU?
Naja, ich hab am Anfang gedacht, dass wir keine zwei Jahre schaffen und inzwischen sind wir im dritten. Es fühlt sich dann zum Glück doch nicht so an, als würden wir zum Ende kommen. Im Gegenteil! Wir haben ja das popkulturelle Ding, mit dem wir ja Gott sei Dank wahnsinnig breit aufgestellt sind.
ABER AUCH DA: IRGENDWANN IST VIELLEICHT JEDER ASPEKT ÜBER GHOSTBUSTERS AUSERZÄHLT! ICH MEINE: ES GIBT NICHT UNENDLICH VIELE SPANNENDE PHÄNOMENE AUS DER POPKULTUR UNSERER JUGEND.
Ja, das stimmt. Aber mit der Taktung von zwei Folgen im Monat kommen wir noch ein paar Jahre weit. Dann holt man sich halt auch mal Gäste hin zu oder redet über Themen, die einen damals nicht zu 100% geflashed haben. Wir hatten z.B. letztens über die Power-Rangers gesprochen (lacht laut). Obwohl das die Jugend von uns drei nicht so sehr geprägt hat, war das am Ende eine gute Folge.
REDET IHR TOTAL SPONTAN ODER WIRD EINE FOLGE RADIO NUKULAR AUCH MAL VORBEREITET?
Es gibt einen groben Ablaufplan. Bei den Anekdoten-Podcasts überlege ich mir schon am Anfang die wichtigsten Geschichten, bei denen ich auch wirklich was zu erzählen habe. Bei den popkulturellen Themen nimmt man sich Teile der Geschichte und ein paar Fakten von Wikipedia. Das war es dann aber auch. Der Rest ergibt sich dann.
SO JEMAND WIE MICH, DER NEBEN JOB, SPORT, KIND, ETC. NUR SO 30 MIN. AM TAG FÜR PODCASTS ZEIT HAT, VERLIERT IHR DANN NATÜRLICH MIT SO LANGEN FOLGEN...
Das ist ja das Problem des berühmten Laber-Podcasts, dass halt Menschen total viel reden. Aber ich finde Spontaneität ist der Schlüssel zur Unterhaltung. Wenn ich mich zu sehr auf die Fakten konzentriere, geht mir der lockere Gesprächsfluss und die Gags verloren. Und am Ende soll es ja vor allein eines sein: witzig und unterhaltsam zum Anhören!
Und ich glaube auch das Nukular mittlerweile so ein Status hat, dass wir 5h abliefern können. Wir SOLLEN das auch machen. Das erwartet die Stammhörerschaft jetzt von uns. Wenn der NES 5h oder Adam Sandler 6h Zeit braucht, um alles Wichtige zu erzählen, dann bekommen die auch so einen langen Podcast von uns! Punkt! Das hat was mit meiner Liebe zu den Dingen zu tun, die wir besprechen. Und im Podcast können wir uns einfach die Zeit nehmen. Youtuber machen kein Fernsehen und Podcaster machen kein Radio. Ich selbst bin auch so als Hörer. Wenn ich mir einen neuen Podcast von z.B. A Little Something runterlade und da steht „3,5h“ dann sag ich halt auch: „YEAH, es ist LANG!“
WIE SCHWER IST ES DANN, SOWAS SPONTANES WIE RADIO NUKULAR AUF DIE BÜHNE ZU KRIEGEN?
Sehr schwer. Am Anfang hatten wir uns das auch ganz anders vorgestellt. Gerade bei der zweiten Tour 2016 hat sich da tatsächlich was Dummes eingeschlichen. Die erste Show war noch total improvisiert und die zweite eigentlich gar nicht mehr. Jeder hat die besten Gags aus der ersten Show unterbewusst abgespeichert und ohne große Absprache einfach in der zweiten Show wieder runtergespult. Nach der fünften oder sechsten Show waren die besten Gags aus den ersten fünf Shows das endgültige Programm. Das hat natürlich den Vorteil gehabt, dass jeder mit einer gewissen Sicherheit entspannt die Show angehen konnte. Es war ja immer noch frei gesprochen. Aber es hatte halt nicht mehr ganz den Charme der Podcasts. Deswegen haben wir die jetzige Tour (Anm. d. Red: Mai/Juni 2017) anders geplant. Wir machen dieses Mal eine richtige Podcast-Tour, d.h. es sind fünf Shows mit fünf unterschiedlichen Themen. Jede Show wird dann auch als eigener Podcast veröffentlicht.
DU LEBST AUCH EIN WENIG VON DEN PODCASTS...
Ich lebe komplett davon!
WIE SCHWER IST ES IN DEUTSCHLAND, GELD MIT PODCATS ZU VERDIENEN, DIE HIER IMMER NOCH EINE NISCHE SIND?
Ich hab das Gefühl, dass es leichter wird. Erstens sind Sponsorings nicht mehr so ein Thema. Man hört auch immer öfters in anderen Podcasts Sponsoren oder Werbung. Die Firmen haben Podcasts als Medium anerkannt, in dem man Werbung schalten kann. Zweitens haben wir heute auch den „Die Community finanziert den Podcast“-Gedanken. Die Leute haben verstanden, dass die Macher hinter den kostenlosen Podcasts auch irgendwie ihr Geld verdienen müssen. Wenn ein paar Leute zwei Euro im Monat über Patreon oder Kickstarter für deinen Podcast ausgeben, dann kann ich mittlerweile davon meine Miete und Unkosten bezahlen und netterweise damit sogar was essen! Ich habe deshalb drei Patreon Projekte gerade laufen. Das ist ein großer Teil meines Lebensunterhaltes. Die Live-Shows sind natürlich noch mal rentabler und dann kommt noch das Merchandise dazu.
ABER WARUM MACHT IHR DANN NICHT AUCH WERBUNG?
Das ist ja nur eine Frage der Struktur! Schau mal: Wir sind drei Jungs und ansonsten steht da kein Manager dahinter. Neben Schnitt, kreativen Input und Organisation der Tour bleibt da einfach kaum noch Zeit, sich um Werbe-Deals zu kümmern. Außerdem haben wir bei Radio Nukular schon das Problem, dass wir manchmal „werberischer“ wirken, als wir wirklich sind. Da kommen auch negative Kommentare in die Richtung „Geld geil“ zurück. Das zeigt ja auch, wie sich das mit unserem Image beißt: Wir sind sehr persönlich und authentisch und wenn wir da mit mehr Werbung kommen würden, bricht natürlich etwas, was die Hörer mögen. Du musst die persönliche Perspektive immer über das Geld stellen, sonst bekommst du Probleme. Jeder Werbe-Deal muss einfach zu uns und zu Nukular passen.
WAS HÖRST DU SONST NOCH FÜR PODCASTS? WAS SIND DEINE TOP FÜNF?
Ich höre superwenig Podcasts. Ich hab nicht mal eine Top Fünf. Eigentlich höre ich nur A Litte Something. Da aber auch alles. Lange Zeit habe ich Böhmermann & Schulz gehört, ich habe aber kein Spotify, deshalb bin ich raus bei Fest & Flauschig. Das war's tatsächlich. Wenn du vier Podcasts selbst machst, dann hörst du ansonsten nicht mehr viel. Ich hab auch Podcasts nicht gehört, bis ich selber einen gemacht habe. Ich bin da nur durch Zufall reingeschlittert.