Downloaden ist das neue Einschalten: Jan Weyrauch zur ARD Audiothek App

Die neue Audiothek App der ARD wurde gemeinschaftlich von SWR, BR und Radio Bremen entwickelt. Zur Zeit ist die App als offene Beta-Version mit eingeschränktem Funktionsumfang im App-Store, bzw. Google Play Store verfügbar. PODCAST GMBH hat vor dem eigentlichen Launch der App exklusiv mit Jan Weyrauch, Programmdirektor von Radio Bremen, über Chancen und Eigenheiten der neuen App gesprochen.
Radio Bremen, SWR und BR entwickelt schon eine lange Zeit an der App. Zufrieden mit dem Endprodukt?
Absolut. „Lang“ ist ja auch immer relativ. Für ein Projekt dieser Größenordnung, an dem sich alle Anstalten der ARD inklusive dem Deutschlandradio beteiligen, reden wir hier über eine sehr schnelle Entwicklung. Die Idee ist im Sommer 2016 entstanden. Die Entscheidung der Intendanten, diese für die ARD umzusetzen, ist im Herbst 2016 gefallen. Und gerade mal ein Jahr später, am vergangenen Freitag ist pünktlich zur Frankfurter Buchmesse die offene Beta-Version in die Stores gestellt worden. Ich habe sie natürlich auf meinem Handy und bin mehr als zufrieden! Was ich vor allem gut finde ist, dass wir es als ARD uns zum Ziel gesetzt haben, unsere tollen Wortinhalte gezielt auf anderen Plattformen zu vertreiben. Ich glaube, das ist genau der richtige Weg. Denn im Radio ist es schön und gut alles zu senden. Aber kaum jemand hat da eine Übersicht, kaum jemand weiß, was wir tun und kaum noch jemand schaltet gezielt lange Wortstrecken ein. Deshalb ist diese App überfällig. Das wir alle, auch das Deutschlandradio, überzeugt haben, dies gemeinsam zu machen, das finde ich den größten Erfolg daran.
Also ist die ARD ausnahmsweise Mal wirklich am Puls der Zeit?
Das „ausnahmsweise“ streiche ich. Aber am Puls der Zeit: ja!Stichwort andere Plattformen: Fast alle Anstalten haben ihre eigene Streaming-App, es gibt Drittanbieter mit Inhalten aus der ARD... Warum sollte ich jetzt als Hörer und Nutzer mir noch die Audiothek-App holen, wenn ich die meisten Inhalte schon an anderer Stelle bekomme?
Weil die wichtige Frage ist: Findest du dort auch alles? Mit der ARD Audiothek-App findet man die ganzen Inhalte erstmals in einer übersichtlichen Form. Übrigens auch so, dass man sich die Inhalte auch downloaden kann. Außerdem sitzt da auch wirklich eine Redaktion dahinter, die die Inhalte kuratiert und thematische Empfehlungen gibt. Und was mit dem offiziellen Release am 8. November auch kommen wird ist die sogenannte „Autopilot-Funktion“. Dabei werden nonstop Podcasts abgespielt und der Algorithmus lernt, was man als Hörer mag. Dementsprechend schlägt er weitere Inhalte vor. Und um sicherzugehen, dass man nicht in der eigenen Filterblase bleiben muss, gibt es die Funktion „überrasch mich“. Man wird also als Nutzer auch Inhalte entdecken, die man bei der eigenen Suche nie finden würde. Da jeder Nutzer meistens nur in seinem Sendegebiet denkt und gar nicht weiß, welche Inhalte woanders bei anderen Sendern auch für einen interessant wären. Die gesamte Vielfalt der ARD Angebote wird hier endlich in einer einzigen App gebündelt.
Wie gut ist denn der Algorithmus? Kann der nur thematisch passende Inhalte empfehlen oder auch passende Präsentationsformen? Es kann ja sein, dass ich mich fürs Thema Reisen interessiere, aber die Aufbereitungs- und Darstellungsform eines klassischen Kultursenders nicht mag. Kann die App das berücksichtigen?
Ich gehe mal davon aus, dass der Algorithmus das so nicht kann, denn eine alleinige Differenzierung danach, ob der Beitrag in einer Kulturwelle oder Popularwelle gesendet wurde, würde zu kurz greifen, da inzwischen auch auf Kulturwellen sehr populär produzierte Beiträge laufen. Oft laufen sie sogar in beidem. Was man also bräuchte, wäre ein Algorithmus, der Beiträge anhand der Darstellungsform und Sprache differenzieren kann. So weit sind wir sicher noch nicht. Am Ende kann der Algorithmus natürlich nur so gut sein wie die Metadaten, die wir zur Verfügung stellen. Das ist gerade ein ganz großes Thema in den Redaktionen und Archiven. Zum ersten Mal beschäftigen wir uns gezielt mit der Verbesserung der Metadaten im Audiobereich. Das ist ein wichtiger Schritt. Wir haben ein Raster erarbeitet, an das sich alle Landesrundfunkanstalten halten und an dem sich der Algorithmus orientiert. Da geht schon einiges, aber in Zukunft werden da sicher noch mehr Daten dazukommen.
Ist das auch ein Knackpunkt den Redaktionen zu vermitteln, dass alle relevanten Inhalte mit Metadaten versehen werden müssen? In der ARD sitzen ja nicht nur Digital Natives, wie ich aus eigener Erfahrung weiß.Man musste da schon für Verständnis werben. Aber das ist immer dann da, wenn man erklärt, warum es den Redaktionen hilft. Jeder Autor oder Redakteur will doch, dass sein Beitrag so viel wie möglich gehört wird. Wenn man erklärt, dass die Metadaten – die früher ja nur aus einer Beschriftung einer Bandhülle bestanden - im digitalen Zeitalter das A und O sind, um den Beitrag bekannt zu machen und ihn bei Suchanfragen im Netz nach vorne zu katapultieren, dann sind eigentlich alle begeistert und wollen zumindest mitmachen. Aber ja: Das ist natürlich ein Lernprozess.
Glaubst Du, dass es eine Veränderung der Hörerzahlen durch die Audiothek-App geben könnte?Also was ich ausschließen kann ist, dass die ARD Audiothek die Hörerzahlen der Radioprogramme senkt. Das haben wir schon beim Fernsehen gesehen: Auch hier werden immer wieder Serien und Dokumentationen vorab in der ARD-Mediathek veröffentlicht und in der Regel ist das Gegenteil der Fall: Es gibt eher mehr Aufmerksamkeit, die bei der Ausstrahlung dann auch für bessere Quoten sorgt. Ähnliches erhoffe ich mir bei der ARD Audiothek, auch wenn wir es dort nicht wie beim Fernsehen werden täglich messen können. Aber: Mit der ARD Audiothek wird mehr Aufmerksamkeit auf hochwertige Inhalte geführt. Das hilft in meinen Augen vor allem den Kulturradios, die oft ganz tolle Schätze „versenden“, von denen viel zu wenige je erfahren. Jetzt wird mit der App auch endlich mal der Fokus auf die hochwertigen Inhalte der ARD Radios gelenkt. Natürlich sind da auch Comedys mit im Angebot, aber es geht daneben vor allem auch um Hörspiele, Dokumentationen und Interview-Sendungen. Und es hilft der ARD insgesamt, wenn durch diese App und die Berichterstattung darüber die Inhalte unserer Kulturradios und Inforadios mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit geraten. Das wird sich vorerst nicht nachweisbar auf die Hörerzahlen einzelner Sender oder Sendungen auswirken, aber es wird das generelle Image des Mediums Radio positiv verändern.
Ist die App das erste greifbare Anzeichen, dass das lineare Hören von stark wortorientierten Sendern eventuell am Ende ist?Nein! Aber ich glaube, es gibt bestimmte Formen, die sich einfach besser fürs Digitale eignen. Und zwar all die Formen, bei denen ich gezielter und länger zuhören muss. Für Magazinsendungen ist Radio immer noch genial. Die gibt’s ja auch bei Kultursendern. Aber gerade bei Hörspielen ist es doch so, dass ich selten die Zeit habe, zu einer bestimmten Uhrzeit einzuschalten und eine Stunde lang zuzuhören. Das passt einfach nicht zu unserem Alltag. Da ist es viel besser anzuhalten und weiterzuhören, wann immer es mir passt. Das kann man nur in der digitalen Form.
Im Augenblick ist es toll, dass es lineares Radio und On-Demand-Apps gleichzeitig gibt. Ich glaube, um solche Plattformen auch attraktiv zu machen, müssen wir irgendwann auch anfangen, exklusiv für solche Plattformen zu produzieren. Soweit sind wir momentan noch nicht. Da stehen uns auch die Telemediengesetze im Weg, an die wir gebunden sind. Solche Gedankenspiele sind also allenfalls Zukunftsmusik.
Ist es Strategie oder liegt es an rechtlichen Begrenzungen, dass es nur Inhalte von der ARD und Deutschlandfunk in der App gibt?Wir sind erst mal froh, dass wir die gesamte ARD und das Deutschlandradio mit ins Boot bekommen haben. Wenn wir eine neue Plattform mit fremden und kommerziellen Inhalten gebaut hätten, dann hätten diverse rechtliche Hürden aus dem Weg geräumt werden müssen.. Und ob es uns dann am Ende auch erlaubt worden wäre, das bezweifle ich. Deshalb haben wir uns auf die eigenen Inhalte konzentriert.

Screenshots der App (Android): Podcasts sortiert nach Themen oder Hörfunksender.
Also genau das richtige Timing von z.B. BremenZwei bekannte Podcaster wie z.B. die Macher vom SOZIOPOD ins Studio zu holen, um mit denen eine Radiosendung zu produzieren, die sich dann als Podcast wieder in der Audiothek-App findet.
(Lacht) Ja, das geht ja auch. Die machen dann ja schließlich eine normale Sendung für Radio Bremen, die sich natürlich auch wieder in der ARD Audiothek finden wird. Zum Start der App werden alle laut für die App trommeln. Wie geht es aber nach der Startphase weiter? Wenn jede ARD-Anstalt auch ihre eigene App hat: Wie sieht die nachhaltige mediale Begleitung zur Audiothek-App aus?Am Anfang werden wir drei Wochen lang richtig groß Werbung dazu fahren. Da machen auch alle ARD-Wellen mit. Da werden wir schon einen entsprechend großen Impact bekommen. Außerdem haben wir es auch geschafft einen gewissen Etat freizuschaufeln, um online Werbung zu schalten. Genau da ist es ja auch richtig und wichtig zu werben, weil man direkt im Medium ist. Wir schaffen also einen starken Impuls die Audiothek-App downzuloaden. Wenn man die App dann auf dem Smartphone hat, muss die App selber und die Inhalte so attraktiv sein, dass sie von alleine lebt. Da kannst du als Radio wenig ausrichten. Wenn die App dann von den Leuten, die sie runtergeladen haben, nicht genutzt wird, dann hat eher die Audiothek als solches ein Problem.
Stimmt schon. Aber die beste App bringt der ARD ja nichts, wenn die Sender immer wieder darauf verweisen, dass sie überhaupt existiert.Deswegen werden wir mal gucken, was wir später vielleicht noch brauchen. Wir machen jetzt erst mal die Anfangsphase und schauen dann, wie es läuft. Ob es sich entweder per Mund-zu-Mund-Propaganda verbreitet oder übers Netz. Wir haben auf jeden Fall eine regelmäßige Redaktionskonferenz eingerichtet mit Beauftragten aller Landesrundfunkanstalten und der ARD.de-Redaktion, die in Mainz sitzt. Einmal im Monat reden wir über relevante Themen rund um die App. Wir haben uns bestimmte Benchmarks in Sachen Download und Nutzung der App gesetzt und wenn wir sehen, dass es stagniert oder sich nicht weiter entwickelt, dann müssen wir uns schon die wichtigen Fragen stellen: Machen wir was falsch? Müssen wir wieder mehr Werbung machen? Aber das entscheiden wir eben dann.
Jan, lieben Dank für die Zeit. Als kleiner Teil der ARD und als Podcast-Fan wünsche ich Euch und der App viel Erfolg. Danke dir! Hinweis: Jan Weyrauch war von 2008 bis 2011 mein Chef beim HR, außerdem bin ich bis heute für die ARD tätig!